Gedichte im integrativen Deutschunterricht
Gedichte sind eine wahre Fundgrube für den integrativen und kompetenzorientierten Deutschunterricht (→ Gedichte) Durch ihre überschaubare Textlänge sowie eingängigen Reime und Rhythmen eignen sie sich für das literarische und sprachliche Lernen in der Grundschule in besonderer Weise. Gedichte sind vielschichtig und abwechslungsreich. Sie stecken voller Sprache und Poesie, regen die Fantasie an und werfen philosophische Fragen auf.
Klassische Gedichtformen unterscheiden sich in ihrer Struktur (Aufbau und Rhythmus), z.B. Balladen, Sonett, Haiku, Ode, Akrostichon, Elfchen usw. Die Gedichtanalyse nach strukturellen Merkmalen wird in der Grundschule angebahnt, jedoch erst in der Sekundarstufe systematisch erarbeitet. Zu den Merkmalen der Lyrik zählen:
- Aufbau in Zeilen, Verse, Strophen
- Rhythmus (Reimschema, Versmaß/Metrum, Kadenz)
- Lyrischer Sprecher (Lyrisches Ich)
- kunstvolle, bildhafte Sprache (Rhetorische Mittel)
Für den Unterricht in der Primarstufe ist v.a. eine inhaltliche Einteilung der Gedichte interessant, z.B.
- Jahreszeitengedichte (→ Frühlingselfchen, → Herbstgedichte)
- Festgedichte (Geburtstag, Weihnachten, …)
- Tiergedichte
- Naturgedichte
- Gedichte über Freundschaft
- Dinggedichte
siehe auch
Der Herbst steht auf der Leiter (Peter Hacks)
Der Herbst steht auf der Leiter
und malt die Blätter an,
ein lustiger Waldarbeiter,
ein froher Malersmann.
Er kleckst und pinselt fleißig
Auf jedes Blattgewächs,
und kommt ein frecher Zeisig,
schwupp, kriegt der auch nen Klecks.
Die Tanne spricht zum Herbste:
Das ist ja fürchterlich,
die andern Bäume färbste,
was färbste nicht mal mich?
Die Blätter flattern munter
Und finden sich so schön.
Sie werden immer bunter.
Am Ende falln sie runter.
Impulse für den integrativen Deutschunterricht

Ausgehend von einem Gedicht lassen sich je nach Klassenstufe vielfältige und ansprechende Aufgaben aus den Kompetenzbereichen ableiten, die zum selbstständigen und kreativen Lernen im integrativen Deutschunterricht anregen und in offene Lernsettings eingebunden werden können (z.B. Tages-/ Wochenplan, Lerntheke, Freiarbeit). So können die Aufgaben von den Schülerinnen und Schülern in einem individuellen Tempo und selbstgewählter Reihenfolge bearbeitet werden. Um den Übungsprozess bestmöglich zu begleiten, kann die Lehrkraft außerdem (individuelle) Pflicht- und Wahlaufgaben mit den Lernenden vereinbaren. Weiterhin kann die Möglichkeit zur Einzel-, Partner- und Kleingruppenarbeit gegeben werden, sodass sich die Lernenden über das Gedicht austauschen, bei der Erarbeitung der Aufgaben beraten und gegenseitig unterstützen können. Die Übungsaufgaben sollten in geöffneten Unterrichtssequenzen vorab unbedingt mit der Klasse besprochen und Verständnisfragen geklärt werden. Es bietet sich an, ausgewählte Aufgaben auf Karteikarten zu schreiben oder an der Tafel zu notieren, um selbstständiges und strukturiertes Lernen während der anschließenden Arbeitsphase zu ermöglichen und eine ruhige Arbeitsatmosphäre zu schaffen.
Die Bildungsstandards (2024) unterscheiden für den Deutschunterricht:
- Prozessbezogene Kompetenzen (Sprechen und Zuhören, Schreiben, Lesen)
- Domänenspezifische Kompetenzen (Sprache und Sprachgebrauch untersuchen, Sich mit Texten und anderen Medien auseinandersetzen)
Aus den Kompetenzbereichen lassen sich Aufgaben für die Erarbeitung und Auseinandersetzung mit Gedichten ableiten.
Prozessbezogene Kompetenzen
Sprechen und Zuhören

Gedichte dienen als Redeanlass. Bei einem gemeinsamen Einstieg können zunächst Bilder, Realien, Geräusche oder Wörter als Gesprächsimpuls genutzt werden, wobei die Klasse zum freien Assoziieren ermuntert wird. Bildkarten mit „Kastanie“, „Igel“, „Nebel“ erwecken sicherlich bei den meisten Kindern den Gedanken „Das hat etwas mit dem Herbst zu tun“. Auch ein persönliches Erlebnis kann mit diesen Bildern verbunden sein („In unserem Garten wohnt ein Igel“). Durch gemeinsames Lesen oder Vorlesen des Gedichts durch die Lehrkraft können die Schülerinnen und Schüler das Gedicht zunächst einmal auf sich wirken lassen. Während manche Kinder spontane Gedanken zum Gedicht mit der Klasse teilen möchten, können gezielte Fragen anderen Kindern helfen sich ebenfalls in das Gespräch einzubringen, z.B.
- Wovon handelt das Gedicht?
- Was fühlst du dabei?
- Was überrascht dich?
- Welche Stelle gefällt dir besonders gut? Was gefällt dir nicht?
- Welche besonderen Wörter fallen dir auf? (Was ist ein Zeisig?)
- Welche Reime findest du?
Schreiben – Über Schreibfertigkeiten verfügen

„Eine gut lesbare Handschrift flüssig schreiben“ ist für den Primarbereich (Jahrgangsstufe 4) als Ziel verankert. Beim „Schreiben üben“ können Gedichte als motivierende und überschaubare Schreibvorlage genutzt werden. Je nach individuellem Lernstand, können die Kinder einzelne Buchstabenformen und Wörter nachspuren oder schreiben, Druckschrift in eine (teil-) verbundene Schrift übertragen und Buchstabenverbindungen üben .
Schreiben – Orthografisch schreiben
Die Rechtschreibung lässt sich ebenfalls anhand von Gedichten vertiefen. Dabei kann ein Rechtschreibphänomen (z.B. Wörter mit doppeltem Mitlaut) gezielt geübt werden, z.B.
- Schreibe alle Wörter mit doppeltem Mitlaut in dein Heft.
- Schreibe die Wörter mit Silbenbögen/mit Trennstrich. (Blät-ter)
- Finde verwandte Wörter. Nutze das Wörterbuch. (Blatt – Blätter – Blätterdach – blattlos)
- Schreibe Sätze mit den Übungswörtern.
Ebenso können klassenbezogene oder individuelle Wortsammlungen zu einem Thema rund um das Gedicht entstehen (z.B. Herbstwörter). Einfache Wörter können zum Üben der Rechtschreibung bereits ab Klasse 1 genutzt werden, z.B.
- Übe die Wörter aus der Wortsammlung (z.B. mit Stempeln drucken, mit Buchstabenschablonen legen, in verschiedenen Schriften schreiben, unterschiedliche Stifte nutzen, rückwärts schreiben, Sätze schreiben usw.).
- Schreibe Sätze mit den Übungswörtern.
- Schreibe ein Rätsel zu deinem Wort. Beschreibe so genau wie möglich (z.B. Blät-ter-hau-fen „Wenn die bunten Blätter von den Bäumen fallen, werden sie zusammengekehrt. Darin verstecken sich dann manchmal Igel für den Winterschlaf.“).
Weiterhin ist es möglich bekannte Rechtschreibphänomene (z.B. aller Wörter einer Gedichtstrophe) selbstständig zu entdecken. Dabei können die Schülerinnen und Schüler die Wörter ordnen und sich die dazugehörige Rechtschreibstrategie gegenseitig erklären:
- Groß-/Kleinschreibung
- Silbenschwingen
- Verlängern
- Ableiten
- Merkwörter
Nicht zuletzt bieten Gedichte eine hervorragende Schreibvorlage als Schleichdiktat oder Abschreibtext. Hierbei sollte mit den Schülerinnen und Schüler der Aufbau des Gedichtes (Zeilen, Zeilenende, Leerzeile nach einer Strophe) wiederholt und der Unterschied zu einem Fließtext besprochen werden.
Schreiben – Texte verfassen
Für den Lernbereich Schreiben – Texte verfassen können Gedichte als motivierende Schreibimpulse eingesetzt werden.
- Wähle 5 besondere Wörter aus dem Gedicht aus. Schreibe zu jedem Wort einen spannenden Satz in dein Heft.
- Lege eine Wortsammlung zu Herbstwörtern an.
- Sammle weitere besondere, ungewöhnliche oder unbekannte Wörter.
- Finde Reimwörter zu Wörtern aus der Wortsammlung.
- Schreibe ein eigenes Gedichte mithilfe deiner Wortsammlung (Elfchen, Rondell, Haiku, Reimgedicht, Sonettchen, Stufengedicht, …)
- Schreibe eine spannende Geschichte mithilfe deiner Wortsammlung.
Lesen

Die Begegnung mit Gedichten erfolgt meist über ein erstes gemeinsames Lesen in der Klasse oder Vorlesen durch die Lehrperson. Daran können sich weitere Leseübungen je nach Klassenstufe und Lesefertigkeit anschließen. Geöffnete Unterrichtsphasen ermöglichen individuelle Leseübungen in der Kleingruppe oder in Partnerarbeit. Schülerinnen und Schüler, denen das Lesen noch schwer fällt, können in einem geöffneten Lernsetting auch durch die Lehrkraft unterstützt werden.
- Lest euch das Gedicht ausdrucksvoll vor.
- Achtet auf Betonung, Lesegeschwindigkeit, Laustärke, Betonung, Mimik und Gestik.
- Lest das Gedicht in verschiedenen Stimmungen: traurig, fröhlich, müde, geheimnisvoll.
- Lest das Gedicht in drei unterschiedlichen Lautstärken vor.
- Lest eine Strophe wie ein Roboter.
- Lest so schnell/langsam wie möglich.
- Lest Wort für Wort rückwärts.
Domänenspezifische Kompetenzen
Sprache und Sprachgebrauch untersuchen

Der Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen steht in enger Verbindung zu den prozessbezogenen Kompetenzen. Dementsprechend werden Übungsaufgaben passend zum Gedicht (auch bereichsübergreifend) gestaltet z.B.
- Erkläre unbekannte Wörter.
- Unterstreiche Reimwörter im Gedicht. Finde eigene Reime.
- Ergänze die Satzzeichen im Gedicht. Welche Unterschiede fallen dir zu den Satzzeichen in einem Erzähltext auf?
- Bestimme die Wortarten.
- Steigere die Adjektive.
- Bilde zusammengesetzte Wörter.
- Stelle die Sätze um.
- Unterstreiche Subjekte und Prädikate.
Sich mit Texten und anderen Medien auseinandersetzen

Indem sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Gedicht auf verschiedenen Ebene auseinandersetzen, bauen sie ihr Wissen über Gedichte schrittweise auf. Dabei lernen sie Merkmale von Gedichten (Inhalt, Sprache, Aufbau) kennenlernen.
Mithilfe von Büchern und digitalen Angeboten ist es möglich, Informationen zum Autor oder der Entstehungsgeschichte eines Gedichtes zu recherchieren und für die Klasse aufzubereiten (z.B. als Plakat oder Kurzvortrag). Das Gedichte kann im Rahmen der Präsentation gelernt und ausdrucksvoll vorgetragen werden.
Bewertung und Präsentation
Eine Bewertung der erarbeiteten Aufgaben ist z.B. in Form einer Komplexen Leistung möglich. Dazu ist es erforderlich im Vorfeld die Bewertungskriterien mit der Klasse zu besprechen und die Arbeitsaufträge genau zu formulieren, z.B. „Schreibe das Gedicht in deiner schönsten Schrift auf ein liniertes Schreibpapier. Schneide es sauber aus und klebe es auf ein farbiges Papier. Gestalte passend.“

Judith Köhler, Mitwirkung: Andreas Grajek
Beiträge zum fachübergreifenden und fächerverbindenden Lernen auf schulimpulse.de:
Letzte Aktualisierung: 26. Oktober 2025








