Individuelles Schreiben – kreative Schreibprozesse anregen und fördern
Das Verfassen von Texten ist neben dem Schriftspracherwerb, Sprechen und Zuhören, Richtig schreiben und Sprache untersuchen ein zentraler Bestandteil des Deutschunterrichts in der Grundschule.
Schreibmotivation
Neben dem Gebundenen Schreiben zu vorgegebenen Themen oder Textsorten (z.B. Beschreibung, Bildergeschichte, Rezept, Gedichte) spielt das Individuelle Schreiben* (auch: freies Schreiben) für die Textproduktion eine wichtige Rolle. Hierbei erhalten Kinder die Möglichkeit, sich individuell mit für sie wichtigen Themen oder einer selbst gewählten Textsorte zu beschäftigen, individuelle Schreibzugänge zu finden und sich kreativ auszudrücken. Somit entsteht eine hohe intrinsische Schreibmotivation bei den Kindern, welche für das Planen, Schreiben und Überarbeiten von Texten eine bedeutende Grundlage darstellt.
Je bedeutsamer die Schreibaufgabe für die Kinder ist, desto freudvoller nähern sie sich dem Schreiben eigener Texte und desto sinnvoller erscheint ihnen folglich auch der Überarbeitungsprozess. Schülerinnen und Schüler lernen beim Schreiben von Texten, Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu übernehmen und Freude am selbstgesteuerten Lernen zu entwickeln.
Texte planen, verfassen und überarbeiten
Das Schreiben als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel ist eine starke Selbstwirksamkeitserfahrung, die bei entsprechender Rückmeldung und Würdigung die Begeisterung für das Verfassen weiterer Texte unterstützt und das dazugehörige Überarbeiten (Fehler erkennen, logische Struktur überdenken, Adressaten berücksichtigen, …) als selbstverständlich – und nicht als lästige Pflicht – erscheinen lässt. Nicht allen Kindern gelingt es sofort, ein Thema zu finden und einen Text zu verfassen. Somit ist es hilfreich Schreibimpulse anzubieten oder im Gespräch mit einzelnen Kindern ein interessantes Thema (z.B. Hobby, Haustiere, eine lustige Begebenheit) zu finden oder ein zuvor mündlich erzähltes Erlebnis als Schreibanlass zu formulieren.
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Das für die Überarbeitung nötige „Handwerkszeug“ (Wissen über Wortarten und Wortbildung, Nachschlagen im Wörterbuch, Aufschreiben, Abschreiben, …) erhalten die Lernenden im Dialog mit der Lehrkraft und der Klassengemeinschaft (z.B. durch eine Schreibkonferenz). Im Sinne eines gelingenden Miteinanders wird dabei nicht nur die Schreibfähigkeit verbessert, sondern vor allem auch zentrale Fähigkeiten zur Problemlösung, zur sachbezogenen Kommunikation mit anderen sowie zum kritisch-konstruktiven Denken entwickelt.
Durch den Überarbeitungsprozess lernen Schülerinnen und Schüler, sich sowohl stärkenorientiert als auch kritisch mit den eigenen Schreibprodukten auseinanderzusetzen, ihren Schreibprozess zu reflektieren, sich darüber auszutauschen und Hinweise anzunehmen. Dabei geht es stets darum, die eigenen Schreibabsichten bestmöglich umsetzen zu können. Aufgabe der Lehrkraft ist es, den Planungs-, Schreib- und Überarbeitungsprozess zu begleiten und zu moderieren. Sie gibt angemessene und ermutigende Rückmeldungen, fragt nach und weist auf inhaltliche „Lücken“, sachunlogische Zusammenhänge oder sprachliche Ungenauigkeiten hin.
Mögliche Fragen können sein:
- Wie meinst du das genau? Wie kannst du das noch genauer beschreiben?
- Warum entwickelt sich die Handlung an dieser Stelle so (und nicht anders)?
- Wie könnte die Geschichte anders weitergehen?
- Warum schreibst du (nicht) …?
- Gäbe es einen logischeren Satz an dieser Stelle?
- Findest du ein Wort, das besser passt?
- Wie kannst du diesen Satz spannender schreiben?
Dabei ist es wichtig, Impulse für den Schreibprozess zu geben und eine ernsthafte und stärkenorientierte Auseinandersetzung bei der Überarbeitung des Textes anzuregen.
Wertschätzende Rückmeldungen
Wertschätzende, ermutigende und präzise Rückmeldungen sind für die Motivation der Schülerinnen und Schüler unbedingt erforderlich. Die Lehrkraft steht vor der großen und bedeutsamen Aufgabe, individuelle und wohlwollende Rückmeldungen zu geben. Dabei dient sie der Klasse als Sprachvorbild. Erst wenn die Lehrkraft einen freundlichen Sprachduktus etabliert, wird es auch den Schülerinnen und Schülern immer besser gelingen, reflektierte und anerkennende Worte der Rückmeldung zu finden und präzise Rückfragen zu stellen.
Die Schreibprodukte der Kinder können ausgestellt, präsentiert und in gesammelten „Geschichtenbüchern“ der Klasse zusammengetragen werden. Auf diese Weise wird das Schreiben der Kinder gewürdigt und Vorfreude auf das nächste Schreibprojekt geweckt.
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Schreiben und Partizipation
Wenn Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten bekommen, sich beim Schreiben kreativ auszudrücken und sich neben Schreibstrategien auch Techniken des Überarbeitens anzueignen, trägt das nicht zuletzt dazu bei, dass sich die Kinder zu selbstbewussten und kompetenten Schreibern entwickeln dürfen, die sich aktiv in den Unterrichtsalltag einbringen und diesen mit Interesse am gemeinsamen Lernen gestalten.
Beispiel Schülertext: Leonardo da Vinci
Der nachfolgende Text entstand, nachdem sich die Klasse mit den Besonderheiten verschiedener Textsorten beschäftigt hatte (Gedichte, Märchen, Beschreibungen, Sachtexte). In den Ferien hatten die Kinder viel erlebt und ausführlich im Erzählkreis davon berichtet. Gleichzeitig standen in der aktuellen Woche verschiedene Halloweenfeiern an. Auch das war im Erzählkreis ein großes Thema. Die von der Lehrkraft gestellte Aufgabe lautete: „Schreibe über ein Erlebnis in deinen Ferien. Oder über Halloween. Du darfst auch einen eigenen Text verfassen.“ Ein Schüler hatte sich in den Ferien intensiv mit Leonardo da Vinci und seiner Mona Lisa beschäftigt, sodass er darum bat, einen Sachtext dazu schreiben zu dürfen. Das richtige Schreiben der Wörter war im ersten Entwurf zunächst nebensächlich, da sich der Schüler vor allem auf Inhalt und Sprache seines Textes konzentrierte. Die Überarbeitung erfolgte später mit Unterstützung am Computer.
Beispiel Schülertext: Wie alles begann
Inspiriert von den Möglichkeiten, welche die Verwendung der „Wörtlichen Rede“ bietet, entwickelte ein Kind die Idee, sein Interesse für Naturwissenschaften mit seinen Kenntnissen und Fragen in einer Geschichte zu verarbeiten. Es entstand ein mehrseitiger Text mit dem Titel „Wie alles begann“.
*Hierbei orientieren wir uns an Beate Leßmann, die eine begriffliche Abgrenzung von individuellem und freiem Schreiben vornimmt (Leßmann, Beate: Individuelle Lernwege im Schreiben und Rechtschreiben. Ein Handbuch für den Deutschunterricht. Teil 1: Klassen 1 und 2. Dieck-Verlag. 2007. S. 11); siehe auch: https://www.beate-lessmann.de/
Judith Köhler & Andreas Grajek
Letzte Aktualisierung: 19. Mai 2024